In deutschen Haushalten leben nach Auskunft des Industrieverbandes Heimtierbedarf 8,2 Millionen Katzen. Das ist eine unglaubliche große Zahl. Zur Verdeutlichung: Sie entspricht ungefähr einer ganzen Menge Fußballfelder oder auch ziemlich genau der Anzahl weiblicher Single-Haushalte.
Von diesen 8,2 Millionen Katzen haben die meisten einen eigenen youtube-channel und Twitter-Account. Wir werden also ständig mit Katzen konfrontiert und sollten uns schon aus diesem Grunde ein wenig vertraut machen mit ihnen.
Leider ist unser Katzenwissen aber geprägt durch Stereotype und Vorurteile. Wir sehen im Internet Klavier spielende Katzen, lesen Bücher über Detektivkatzen und ganz abgebrühte sehen sogar singende und tanzende Katzen in Musicals. Jeder, der schon mal ein Autorenzitat über Katzen auf einer Postkarte gesehen hat, darf an dieser Stelle hysterisch lachen.
Unsere Kultur transportiert ein absolut falsches Bild dieser Tiere und verdeckt gleichermaßen den Blick auf die Realität. Um den Schleier ein wenig zu lüften, werde ich die drei gängigsten Vorurteile über Katzen vorstellen und versuchen zu entkräften.
Vorurteil Nummer 1: Katzen sind unabhängige Freigeister
Katzen gelten als eigenständige Tiere, die nicht sofort jedem Menschen auf den Schoß springen, sich von ihm kraulen lassen und ihn zum allerbesten Freund erklären, den man überhaupt haben kann. Das Gerücht können nur Leute in die Welt gesetzt haben, die nie mit einer Käsestulle vor einer Katze standen. Oder mit Kartoffelsalat. Oder Räucherlachs. Oder mit Vanilleeis.
Diese Unbestechlichkeit steht in enger Verbindung mit einer angeblichen Eigenständigkeit.
[Triggerwarnung: Es folgt ein Autorenzitat über Katzen.]
Mark Twain formulierte es so: „Of all God’s creatures there is only one that cannot be made the slave of the lash. That one is the cat.“
An dieser Stelle müsste man einhakend fragen, was denn mit Fledermäusen, Blindschleichen oder Schnecken ist und inwiefern sich diese versklaven lassen, aber man möchte ja nicht pingelig gegenüber toten Autoren werden.
Hauskatzen wurden vor ca. 10.000 Jahren domestiziert. Übrigens vermutet man aufgrund beiderseitiger Vorteile, dass es sich hier um eine Selbstdomestikation der Tiere gehandelt hat. Es war also so, dass der Appetit der Katzen auf Essensabfälle der Menschen größer war als ihr unabhängiger, freier Geist und dass dieser sie dazu gebracht hat, sich sehr wohl an uns zu binden.
Und das änderte sich auch nicht. 2011 wurden in Deutschland fast 1,5 Milliarden Euro für Katzenfutter ausgegeben. Damit erreichen Katzen eine Unabhängigkeits- und Freigeiststufe, die noch unter der von Neunzehnjährigen, die von ihren Eltern ein Bachelorstudium in Philosophie bezahlt bekommen, angesiedelt ist.
Vorurteil Nummer 2: Katzen sind intelligent
Ich zitiere aus Brehms Tierleben:
„Man spricht viel von ihrer Schlauheit und List: mit Recht;(…) Sie ist Meister über sich, wie alle Listigen, und kennt den richtigen Augenblick.“
Gut, Brehm, der alte Stereotypenreiter, hat die Tierwelt jetzt nicht immer richtig fundiert durchschaut, aber auf die Intelligenz der Katze wird immer wieder gerne hingewiesen.
Wikipedia, die Weisheit der Moderne, führt im Eintrag über Katzen (der im Übrigen fast so lang ist wie der über den zweiten Weltkrieg und sogar noch länger als der über World of Warcraft) im Abschnitt „Intelligenz“ folgendes Argument an:
„Außerdem sind Katzen fähig, auf ihren Namen zu hören, sofern dieser kurz und prägnant ist. Um eine Katze mit ihrem Namen vertraut zu machen, ist es von Vorteil, ihn möglichst früh zu benutzen und sie vor jeder Mahlzeit damit zu rufen; Katzen reagieren in hungrigem Zustand deutlich besser auf Namensrufe.“
Ich habe mir die Mühe gemacht, dieser Behauptung empirisch nachzugehen. Ohne hier nun mit wissenschaftlichen Details zum Versuchsaufbau und der Methode zu langweilen, kann ich verkünden: Ja, das stimmt. Katzen in hungrigem Zustand reagieren deutlich besser auf ihren Namen. Sie reagieren allerdings genauso gut auf Rufe wie „Fresschen!“, „Komm, Fettbärchen!“ oder „Urheberrechtsverletzung!“.
Aber wie sollte man die Cleverness von Katzen sonst beweisen? Versuche zur Intelligenz wie man sie mit Papageien, Ratten, Krähen und Kleinkindern durchführte, funktionieren mit Katzen nicht. Angeblich, weil sie auf die üblichen Dressurmethoden nicht ansprechen. Interessanterweise wird ihnen das auch immer wieder als Zeichen besonderer Intelligenz ausgelegt: Die Katze, so heißt es, sei viel zu klug, um sich vom Menschen verbiegen lassen. Dagegen heißt es seltsamerweise nie, dass sich Kellerasseln oder Kaninchen nicht dressieren lassen, weil sie viel zu stolz und intelligent sind, um den Menschen einen Gefallen zu tun. Nein, bei Kellerasseln darf man durchaus sagen, dass man mit ihnen keine Intelligenztests durchführen kann, weil sie einfach zu dumm sind.
Wenn man dazu bedenkt, dass 87 % aller youtube-Videos Katzen zeigen, die von irgendwo herunter oder in irgendetwas hineinfallen oder mit irgendetwas zusammenstoßen, ahnt man auch, weshalb Katzen in menschlicher Obhut zwölf bis fünfzehn Jahre alt werden, allein in freier Natur jedoch nur drei bis vier Jahre.
Vorurteil Nummer 3: Katzen sind leise
Wie tief dieses Vorurteil in unser Denken eingebrannt ist, zeigen zwei Googleabfragen: Der Begriff „Samtpfote“ bringt 735.000 Ergebnisse, „Katzenlärm“ dagegen nur 639 (Stand Oktober 2012).
Dass es sich hierbei um leise Tiere handelt, kann sich nur die Katzenindustrie ausgedacht haben. Selbst das stimmlose Schnurren – direkt ins Ohr vorgetragen – kann einen ausgewachsenen Menschen innerhalb von zweieinhalb Sekunden wecken.
Neben dem Schnurren unterscheidet die Wissenschaft und der morgens ausschlafen wollende Mensch zehn weitere Lautäußerungen der Katze: Fauchen, Spucken, Knurren, Schnattern, Meckern, Miauen, Gurren, Rufen, das Abwehrkreischen und den Katergesang. Bis auf die letzten beiden hört man von Hauskatzen alle diese Laute regelmäßig bis zu fünf Mal am Tag – und zwar vor den Essenszeiten.
Besonders hervorzuheben ist der Bettelruf der Katzen, dem sie dem Schnurren beimischen. Die Frequenz dieses Tones liegt bei 380 Hertz – in diesem Bereich bewegen sich auch die Heulschreie von kleinen Kindern. Neben der Lautsprache kommunizieren sie aber auch durch andere Geräusche. Langeweile, Hunger, schlechte oder gute Laune signalisieren sie durchs Kratzen an der Tür, Herunterschmeißen von Blumenvasen, stundenlange Scharren im Katzenklo, Sprinten auf Parkettböden, Wühlen im Altpapier und Zerkratzen der Couch.
Wer ein leises Tier sucht, dem lege ich Schildkröten ans Herz oder Schlangen, meinetwegen auch Fische, aber mit Sicherheit keine Katze.
Von sämtlichen Autorenzitaten über Katzen hat nach Eigenrecherche tatsächlich nur ein einziges einen wahren Kern und zwar von Ernest Hemingway: „One cat just leads to another.“.